Fall der 19jährigen Speerwerferin Warnung an Leistungssportler
19.11.00 (fc) So ziemlich genau zwölf Monate ist es her, als der Fall Dieter Baumann die deutsche Leichtathletik-Welt in ihren Grundmauern erschütterte. Der Tübinger Läufer ist mittlerweile nach seinem positiven Nandrolon-Befund auf Weltverbandsebene gesperrt. Der Stoff war von einem Tag auf den anderen in aller Munde. Nun schickte sich eine weitere Betroffene, die erst 19jährige Carolin Soboll vom TV Wattenscheid, im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF an, ihren Fall offensiv anzugehen und über verunreinigtes Kreatin zu sprechen.
Der Grund ist ganz einfach: eine mit Steroiden verseuchte Tablette soll es bei der Nachwuchsathletin gewesen sein und das wiederum wirft die Frage nach einem unschuldigen Opfer auf. Diese Theorie ist im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsstoffen nicht neu. Vor allem in Großbritannien beriefen sich mehrere positiv getestete Athleten darauf. Darunter auch 400-Meter-Läufer Mark Richardson, der im Gegensatz zu Baumann dem Schiedsgericht des Weltverbandes unmittelbar vor den Olympischen Spielen durch einen freiwilligen Olympiaverzicht aus dem Weg ging und nun Anfang des nächsten Jahres um seinen Freispruch kämpfen will.
Somit ist die Erklärung von Sobolls positiver Probe kein neues Thema. Was in ihrem Fall erstaunt, ist die Tatsache, dass sie innerhalb von zwei Tagen zweimal getestet wurde. Am 22. Juni im Training lautete das Ergebnis negativ. Einen Tag später bei ihrem Wettkampf in Rhede war es plötzlich positiv. Verantwortlich dafür soll das Produkt Kreatin-Glutamin-Peptid-Komplex der US-Firma Performance sein, das von einem belgischen Unternehmen vertrieben wird. Dr. Clemens Prokop, Vize-Präsident des DLV und Rechtsexperte, riet Soboll und ihrem Trainer Stefan König, eine Klage gegen Performance anzustrengen. Mittlerweile wurde der Fall von der Anti-Doping-Kommission des Weltverbandes an das IAAF-Council weitergeleitet. Dort droht, betrachtet man die letzten Entscheidungen und die Empfehlung der Kommission, im Laufe des weiteren Verfahrens eine Sperre. Der DLV hatte bei der Speerwerferin zuvor von solchen Konsequenzen abgesehen. Carolin Soboll selbst wagte nun über das Fernsehen den Weg an die Öffentlichkeit.
Im „Aktuellen Sportstudio“ nahm sie zusammen mit ihrem Trainer Stefan König und Olympiaarzt Prof. Dr. Wilfried Kindermann Stellung zu ihrem Dopingfall. „Ich bin aus allen Wolken gefallen und war total geschockt“, skizzierte sie den Augenblick, als sie kurz vor den Deutschen Jugend-Meisterschaften die Nachricht erhalten hatte. Der Einkauf des Kreatin erfolgte über ihren Trainer, der wiederum die preisgünstigste Möglichkeit gewählt hatte. Gerade darin machte Kindermann die große Gefahr aus: „Da muss eine Sensibilisierung der Athleten eintreten. Man sollte auf die bewährten, teueren Produkte zurückgreifen.“ Überhaupt richtete der Sportmediziner deutliche Worte an die Adresse der Aktiven. „Es ist nicht nötig, wie ein wandelnde Apotheke herumzulaufen. Hier muss der Athlet eine kritische Haltung einnehmen und sich die Präparate genau anschauen“, appelierte er im ZDF. Sobolls Coach Stefan König entgegnete: „Das Risiko ist minimal. Es gibt mehr als genug Athleten, die mit Nahrungsmittel-Ergänzungsstoffen arbeiten.“ Aus 200 bis 300 verschiedenen Anbietern kann nach seiner Aussage ausgewählt werden, aber einem solchen Lapsus wie bei Carolin Soboll will er in Zukunft aus dem Weg gehen, auch wenn sich die Trainingsgruppe für den bisherigen Weg aussprach: „Wir werden zukünftig die deutschen Produkte verwenden.“ Für seinen 19jährigen Schützling kommt dieser Entschluss eindeutig zu spät. Kindermann verdeutlichte, dass die Problematik nicht neu ist: „Wir wissen seit drei Jahren, dass es Verunreinigungen gibt und haben die Olympia-Teilnehmer vor ausländischen Produkten gewarnt.“ Davon war Carolin Soboll nach eigener Aussage aber nichts bekannt: „Ich war mir dessen nicht bewusst.“
Die Wattenscheiderin gilt als Talent. Bei der Junioren-Europameisterschaft im vergangenen Jahr holte sie mit einer Weite von 56,86 Metern die Silbermedaille. In diesem Jahr blieb sie mit einer Bestweite von 48,31 Metern deutlich unter der 50-Meter-Marke. Ihre Bestleistung liegt bei 57,74 Metern, erzielt bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften 1999, die sie gewann. Seit dem letzten Jahr hatte sie das leistungssteigernde, aber erlaubte Kreatin eingenommen. Es ist auch in Fisch und Fleisch zu finden und dennoch in der Diskussion. Kindermanns Einschätzung: „Ein Wundermittel ist es nicht.“ Trotzdem hatte es bei Carolin Soboll für eine positive Beeinflussung der sportlichen Leistung gesorgt und so wurde die junge Wattenscheiderin nach den Untersuchungen von Dopingfahnder Wilhelm Schänzer durch eine verunreinigte Substanz zum Dopingopfer.