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Interview mit Melanie Kraus

„Ich war sehr überrascht“

Melanie Kraus blickt mit lachendem und weinendem Auge auf die Saison

21.09.2000 (fc) Als feststand, dass Melanie Kraus die Qualifikation über 10.000 Meter für die Olympischen Spiele in Sydney verpasst hatte, setzte sie sich mit ihrem Trainer Paul Heinz Wellmann zusammen und überlegte, was aus der Saison noch herauszuholen wäre. Es reifte dabei der Entschluss, das Abenteuer Marathon in Angriff zu nehmen. Beim Berlin-Marathon überzeugte die 25jährige als beste Deutsche mit einer Zeit von 2:27:58 Stunden, die sie bei ihren Debüt über diese Strecke in der deutschen Jahresbestenliste auf Rang zwei hinter ihrer Vereinskameradin Sonja Oberem katapultierte. Das Leichtathletik-Online-Magazin sprach mit der Leverkusenerin über ihren ersten Marathon, die Olympiasaison und ihre weiteren Ziele. steeple.de:
Melanie, mit dem fünften Platz und einer Zeit von 2:27:58 Stunden hast Du beim Berlin-Marathon ein glänzendes Marathon-Debüt abgeliefert. Wie fällt Dein eigenes Fazit dazu aus?Melanie Kraus:
Ich war sehr überrascht, dass es in Berlin so gut gelaufen ist. Ich hatte mir eine Zeit von 2:30 Stunden vorgenommen, weil das die Olympianorm für dieses Jahr war. Ich glaubte, dass ich diese Zeit schaffen kann, wenn es gut läuft. Ich habe mich aber sehr gut gefühlt während des Rennens und deshalb kam diese tolle Zeit raus. Das war selbst für meinen Trainer überraschend. 

steeple.de:
In den Medien ging Dein tolles Marathon-Debüt leider etwas unter. Warst Du darüber enttäuscht?

Melanie Kraus:
Es war so, dass vier Leute besser waren als ich. Es ist klar, dass denen mehr die Aufmerksamkeit gebührt als mir. Nachdem es in Deutschland war, fand ich es schade, dass man von mir nicht viel gesehen hat im Fernsehen. Vor allem, weil sehr viele meiner Bekannten vorm Fernseher saßen und mit mir gezittert haben.

steeple.de:
Es war Dein erster Marathon überhaupt. Warum hast Du Dich gerade für Berlin entschieden?

Melanie Kraus:
Der Berlin-Marathon war der letztmögliche Termin, zu dem mein Trainer noch mitfahren konnte, weil er kurz darauf mit Sonja Oberem nach Sydney geflogen ist. Das hätte bedeutet, dass er mich bei einem späteren Marathon nicht betreuen hätte können. Aber gerade beim ersten Marathon gibt es sehr viel zu organisieren. Außerdem ist da noch die Unterstützung während des Laufens nötig, so dass ich das nicht alleine geschafft hätte. Zum anderen habe ich den Berlin-Marathon auch schon oft im Fernsehen gesehen. Er ist bekannt für seine Super-Stimmung und seine schnellen Zeiten. 

steeple.de:
Du hast die Stimmung in Berlin beim bedeutendsten deutschen Marathon angesprochen. Was zeichnet jetzt nach Deiner Erfahrung gerade diese Veranstaltung aus?

Melanie Kraus:
Ich kann nicht mit anderen Marathonläufen vergleichen, nachdem es mein erster Marathon war. Mich hat es aber beeindruckt, dass sich so viele Menschen am Sonntagmorgen an die Straßen stellen, einem zujubeln und so eine ganz tolle Stimmung hervorzaubern. Ich denke, das ist wichtig. Gerade, wenn man bei Kilometer 30 oder 35 läuft und der Kopf schon ein bisschen müde wird. Da hilft das bei der harten Anstrengung enorm.

steeple.de:
Du hattest im Laufe der Saison auch Rennen über 10.000 Meter bestritten. Gab es die Marathon-Pläne bereits zu der Zeit?

Melanie Kraus:
Das ist erst entstanden, als ich die letzte Chance, mich für Olympia zu qualifizieren, im Juli in Straßburg verpasst hatte. Nach diesem Lauf war klar, dass ich es nach Sydney nicht schaffe. Dann habe ich mich mit meinem Trainer zusammengesetzt und wir haben überlegt, was wir noch aus dieser Saison machen. Noch einmal 10.000 Meter laufen, wäre das vierte Mal gewesen. Das kam schon deshalb nicht in Frage, weil ich traurig war, dass ich den Sprung nach Sydney nicht geschafft hatte. Er wollte deshalb auch etwas anderes probieren und wir haben dann den Weg erarbeitet, einen Marathon zu versuchen, weil er denkt, dass da für mich perspektivisch gute Chancen liegen. 

steeple.de:
Wie fällt gerade unter dem Blickwinkel der verpassten Olympiateilnahme Dein Saisonfazit nach dem geglückten Marathon-Debüt aus?

Melanie Kraus:
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich bin in die Saison gestartet mit dem klaren Ziel, nach Sydney fahren zu wollen. Über 10.000 Meter habe ich es nicht geschafft. Was den Marathon betrifft, war es eine Super-Saison. Nur kam diese Zeit für die Olympischen Spiele zu spät, so dass ich jetzt eine Olympianorm habe, aber trotzdem nicht in Sydney bin.

steeple.de:
Nun könnte die Zeit von Berlin unter Umständen die Norm für die nächste Weltmeisterschaft in Edmonton bedeuten. Wie fällt in diesem Zusammenhang Dein Ausblick aus?

Melanie Kraus:
Ich hoffe, dass ich vom DLV grünes Licht bekomme und man mir bestätigt, dass diese Zeit als Norm für Edmonton zählt. Ansonsten werde ich wieder versuchen, auch die 10.000 Meter zu laufen. Gerade da möchte ich beweisen, dass ich unter 32 Minuten bleiben kann. Diese Zeit hätte ich aufgrund des Trainings schaffen müssen. Natürlich wird auch der Marathon anstehen. Wie die Verteilung letztlich aussieht, hängt eben davon ab, ob die WM-Norm zählt und wie ich mit meinem Trainer die Saison allgemein plane. Ich bin noch nicht so erfahren, dass ich zu viele Marathonläufe machen kann. Ich glaube, dass ich einen qualitativ guten Marathon mit einer schnellen Zeit nur ein- oder zweimal im Jahr laufen kann. Die Saisonplanung steht und fällt einfach mit der Nominierung für Edmonton. 

steeple.de:
2002 findet die Europameisterschaft in München statt. Ist das für Dich mit der Marathonperspektive ein Ziel?

Melanie Kraus:
Ich denke, dass spätestens dann bei mir die Entscheidung für den Marathon steht, weil ich denke, dass ich einfach nicht schnell genug bin für die 10.000 Meter. Jetzt war es für mich im Marathon einfacher, die Norm zu erfüllen, als über 10.000 Meter, wo ich drei Versuche unternommen habe und es nicht schaffte. Ich denke, es wird gerade bei der Europameisterschaft in München auch die Unterstützung an der Strecke für die Deutschen entsprechend sein.

steeple.de:
Die Olympischen Wettkämpfe stehen vor der Tür. Es sind im Marathon nach der Absage von Katrin Dörre-Heinig zwei Deutsche dabei. Wie beurteilst Du die Chancen der deutschen Frauen im Langstreckenbereich?

Melanie Kraus:
Ich hoffe natürlich, dass meine Vereinskameradin Sonja Oberem in Sydney richtig gut abschneidet. Ich drücke ihr ganz fest die Daumen. Ich denke, dass Katrin Dörre-Heinig nach ihrem Verletzungspech in diesem Jahr wiederkommen wird. Das war nicht ihr letztes Wort. Für mich ist sie die beste deutsche Marathonläuferin überhaupt. Claudia Dreher wird ähnlich wie Sonja auch sehr gut in Sydney laufen. Im Moment sieht es so aus, dass ich die Nummer vier bin, was den Marathon betrifft. Über 10.000 Meter liege ich national vielleicht auf Position zwei oder drei. Aber gerade da ist die internationale Konkurrenz viel weiter entfernt, sieht man sich die Ergebnisse der letzten Weltmeisterschaft in Sevilla an. Da muss man Abstriche machen, wenn die ersten Zehn unter 32 Minuten laufen.  

steeple.de:
Du arbeitest neben dem Leistungssport noch in einer Apotheke. Wie gelingt es Dir, gerade den im Langstreckenbereich erforderlichen Trainingsaufwand mit dem Beruf unter einen Hut zu bekommen?

Melanie Kraus:
Ich trainiere morgens um 7:30 Uhr zum ersten Mal. Ich brauche erst gegen neun Uhr in der Apotheke anzufangen, arbeite dann bis 16:30 Uhr und anschließend trainiere ich das zweite Mal. Insofern habe ich optimale Voraussetzungen für mein Training. Für die Trainingslager werde ich von meinem Chef freigestellt. Das ganze Team der Apotheke hat sehr viel Verständnis für meinen Sport und merkt auch, dass ich ein bisschen müde bin, wenn ich mal hart trainiert habe. Sie nehmen darauf Rücksicht, unterstützen mich und freuen sich mit mir. Sie saßen auch alle beim Berlin-Marathon vor dem Fernseher und haben gehofft, dass sie mich da sehen. Sie sind immer sehr begeistert, wenn ich gut laufe.

steeple.de:
Der Start der Leichathletik-Bewerbe in Sydney steht unmittelbar bevor. Wie wirst Du selbst die Wettkämpfe verfolgen können?

Melanie Kraus:
Leider sind die Zeiten etwas ungünstig. Entweder mitten in der Nacht oder vormittags, wenn ich arbeite und es nicht sehen kann. Ich werde mir vielleicht ein paar Zusammenfassungen ankucken, vor allem von den Langstrecken, die mich natürlich ganz besonders interessieren. Aber ansonsten bleibt dafür nicht soviel Zeit, zumal ich jetzt im November mein abschließendes drittes Staatsexamen machen möchte, um dann approbierte Apothekerin zu sein. Das steht jetzt erst mal an!

steeple.de:
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Melanie.

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