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Interview mit Robert Korzeniowski

„Brauche nichts mehr beweisen“

Schwester Silvia soll in die Fußstapfen der Geherlegende treten

10.07.2000 (fc) Ein sportlich gekleideter Mann brüllt lautstark einer jungen Geherin am Rande der Strecke hinterher und wirft zugleich schnelle Blicke auf die Uhr, die er in der Hand hält. Die Zuschauer, die gerade zufällig diese Situation beobachten und kein Wort verstehen, wundern sich etwas. Robert Korzeniowski jedoch ist völlig vertieft in den Wettkampf seiner hübschen Schwester Silvia, die drauf und dran ist, die rote Laterne auf den letzten Runden noch abzugeben. Vorher hatte er selbst in Hildesheim die 20 Kilometer in beeindruckender Manier für sich entschieden. In einem Wettkampf, in dem er auf der ersten Hälfte gemeinsam mit dem Letten Aigars Fadejevs klar auf Weltrekordkurs lag – bis der Vize-Europameister verletzungsbedingt aufgab. In der Schlussphase bekam er noch kurzzeitig Unterstützung vom überrundeten Tschechen Jiri Malysa, der noch mal alles gab, um dem Polen zu helfen. Am Ende stand eine tolle Zeit von 1:18:22 Stunden für den Sieger zu Buche. Der 31jährige hat in seiner Laufbahn alle internationalen Titel gewonnen und man merkt, wie sehr er seinen Sport, das Gehen, liebt. Im ausführlichen Siegerinterview mit dem Leichtathletik-Online-Magazin plauderte der kleine Mann, der 1992 in Barcelona noch auf den letzten Metern durch eine Disqualifikation um die Silbermedaille gebracht wurde, munter drauf los. steeple.de:
Robert, zunächst Gratulation zu Ihrer tollen Leistung hier in Hildesheim. Schildern Sie den Wettkampf doch mal aus Ihrer SichtRobert Korzeniowksi:
Ich habe dieses gute Ergebnis nicht erwartet. Das Rennen nahm auch einen anderen Verlauf, als ich gedacht hatte. Aigars Fadejevs arbeitete sehr hart und legte gleich ein schnelles Tempo vor. Ich blieb nur an seiner Seite oder hinter ihm, weil das nicht mein Tempo war für die 20 Kilometer. Ich habe heute auf den ersten zehn Kilometern mit der Zwischenzeit meine persönliche Bestleistung über diese Kurzdistanz gebrochen. Nach dem Europacup im Juni wusste ich, dass ich wirklich gute Zeiten über 20 Kilometer in diesem Jahr erreichen kann. Darum habe ich mich auch in den letzten zwei Wochen etwas entspannt und ein bisschen Urlaub mit meiner Familie gemacht. Es geht. Ich bin ein erfahrener Athlet und ich brauche nicht mehr ganz so hart zu trainieren wie in der Vergangenheit. Ich weiß, wann ich an mir arbeiten muss. Ich spüre es.

Ich trainiere jeden Tag, aber nicht immer mit der gleichen Intensität. Bei meiner letzten Trainingseinheit, bevor ich nach Deutschland gereist bin, habe ich gefühlt, dass ich in guter Form bin. Im Wettkampf hatte ich dann natürlich ein Problem, als Aigars ausgestiegen ist. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Meine Motivation ließ etwas nach. steeple.de:
Es war also ein Problem für Sie, als Aigars aufgegeben hat?

Robert Korzeniowksi:
Wenn ich Aigars erst nach 14 Kilometern verloren hätte, wäre auch der Weltrekord noch drin gewesen. Warum nicht? Es war wirklich möglich heute. Es hängt viel von der Motivation ab. Ich denke, jeder Athlet ist davon abhängig. Besonders auf den langen Distanzen. Wir hatten keine Hasen hier, sondern ausschließlich ambitionierte Geher. Also war keiner mehr da, der mich unterstützen hätte können. Wenn man einen Weltrekord attackieren will, braucht man heute auch im Gehen ein paar Tempomacher. Das ist moderne Leichtathletik. Ohne Hasen glaube ich nicht, dass es möglich ist, den Weltrekord zu brechen. Vielleicht auf den kurzen Distanzen wie fünf Kilometer. Es sind sehr gute Geher notwendig, die zum Beispiel die 15 Kilometer unter 58 Minuten vorgeben können, um den Rekord zu brechen. Das reicht mir! Ein Hase für mich wäre eine gute Sache. Ich arbeite gerne hart und gehe schnell. Ich liebe diese Atmosphäre hier in Hildesheim. Aber wenn jeder einen Weltrekord erwartet, muss ich sagen, es ist so nicht möglich. Vielleicht eher bei den Frauen, weil die 20 Kilometer dort ein neuer Bewerb sind. Ähnlich wie beim Stabhochsprung. Da ist ja fast jede Woche ein neuer Rekord drin. Für die Männer ist es um einiges schwieriger.

steeple.de:
Der Tscheche Jiri Malysa hat sie zwischendurch auch begleitet. Konnte er Ihnen helfen?

Robert Korzeniowski:
Ja, er hat mir wirklich geholfen und mich wieder gepusht. Genauso wie meine Frau, die mir einen falschen Abstand zugerufen hat. Sie sagte, der Abstand zu Evgenij Misjulja wäre nur 30 Sekunden, aber es war eine Minute. Als ich das gehört habe, 30 Sekunden und noch sieben Kilometer zu gehen, konnte ich nicht mehr sicher sein. Das war ein zusätzlicher Druck für mich und eine neue Motivation im Wettkampf. Mit Malysa habe ich versucht, wieder ein höheres Tempo zu gehen und es hat gut funktioniert. Die letzten fünf Kilometer waren schneller als die fünf davor!

steeple.de:
Was bedeutet die Zeit hier in Hildesheim für die Olympischen Spiele in Sydney. Welche Distanz werden Sie dort in Angriff nehmen?

Korzeniowski: „Ich will den Olympiasieg verteidigen“

Robert Korzeniowski:
Ich werde in beiden Bewerben starten. Mein Plan ist, über 20 Kilometer im Bereich meiner Bestleistung zu sein. Eine Woche später stehen die 50 Kilometer auf dem Programm. Wenn ich um die Medaillen mitkämpfen kann, werde ich alles versuchen. Ich denke, das ist möglich. Wenn es nicht klappen sollte, kann es trotzdem ein gutes Rennen sein. Selbst wenn der Druck dann auf mich wachsen würde. Ich weiß von Atlanta, dass ich mich sehr gut erhole zwischen den beiden Wettkämpfen. Das Wetter in Sydney wird ähnlich sein wie in Hildesheim. Deshalb halte ich auch zwei Medaillen, wie sie Ronald Weigel in Seoul holte, für möglich. Warum auch nicht Gold? Auf den 20 Kilometern ist eine Medaille mein Ziel, über 50 Kilometer will ich meinen Olympiasieg verteidigen.  

steeple.de:
Sie haben hier ihre junge Schwester Silvia lautstark angefeuert und unterstützt. Was sagen Sie zu ihrem Rennen?

Robert Korzeniowski:
Sie ist ein tapferes Mädchen. Ich unterstütze sie nun ungefähr seit drei Jahren. Damals hat sie nicht an sich selbst geglaubt. Nachdem sie vor zwei Jahren hier in Hildesheim als Junior ihre Bestleistung über 10 Kilometer gebrochen hat, hat sie sich als richtige Athletin gefühlt. Sie traf nun schon mit einigen guten Konkurrentinnen aufeinander und da konnte sie sich verbessern. Sie glaubt jetzt auch mehr an meine Art des Trainings. Ich habe nie erwartet, dass sie schon bald vorne mitmischen kann. Man muss einfach Geduld haben. Meine Schwester hat das mittlerweile auch gelernt. Vor zwei Jahren hat sie die 20 Kilometer ins Auge gefasst und deshalb ist ihr heutiges Ergebnis absolut in Ordnung für ihr Alter von 20 Jahren und ihren zweiten Wettkampf über 20 Kilometer. Ich vermute, dass sie heute ihre Ansprüche auf die Olympiateilnahme 2004 unterstrichen hat. Es ist nämlich in Polen so, dass wir bereits in einem Olympiajahr die Kandidaten für die nächsten Olympischen Spiele in vier Jahren zusammenstellen.  Das gilt nur für die jungen Athleten. Ich bin davon nicht betroffen. Für die 19- bis 22jährigen Nachwuchssportler bringt das die Möglichkeit, in den nächsten Jahren mit guten Trainern und anderen Topathleten zusammenzuarbeiten. Das ist für meine Schwester sehr wichtig und ich hoffe, dass sie die Norm dafür knacken konnte. Die Spiele jetzt in Sydney sind meine letzte Olympiade und ich hoffe, dass die Familie Korzeniowski durch Silvia auch in Athen 2004 vertreten ist.

steeple.de:
Sie haben in ihrer Karriere alles erreicht. Olympiasieger, Weltmeister, Europameister. Wie ist das Gefühl, auf diese Erfolge zurückzublicken?

Robert Korzeniowski:
Das ist eine große Freude für mich. Ich mag das Leben, das ich in dieser Zeit genießen konnte. Ich mache Urlaub mit meiner Familie, ich trainiere, ich reise, ich mache alles! Ich bin Botschafter für Sport, ich organisiere Meetings. Der Sport brachte eine gewisse Balance in mein Leben. Ich bin zwar mit meinen Titeln komplett, aber ich bin nach wie vor sehr motiviert, was meine nächsten Aufgaben und weitere Medaillen betrifft. Ich brauche nichts mehr zu beweisen. Ich weiß, dass ich gut bin. Wenn ich verliere, dann verliere ich. Ich beende meine Karriere. Das ist alles. Und es ist ein beruhigendes Gefühl. 

steeple.de:
Wenn Sie dann eines Tages zurücktreten, wie sehen danach Ihre Pläne aus? Hegen Sie Trainerambitionen?

Robert Korzeniowski:
Nein, zu coachen ist mein Hobby. Es ist keine Tätigkeit, die sich wirklich lohnt. Ich habe meine Sportgeschäfte mit fast zehn Angestellten. Ich organisiere große Meetings mit großen Etats. Ich arbeite mit Sponsoren zusammen. Deshalb wäre es vielleicht interessant für mich, als Sportmanager zu arbeiten. Aber nicht in der Form, dass ich Athleten zu den Meetings bringe. Ich finde es viel interessanter, etwas zu organisieren. Das könnte ich mir gut vorstellen. 

steeple.de:
Vielen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute auf Ihrem Weg nach Sydney!

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