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Stabhochsprung: 2. Garde in Deutschland: Top oder Flop?

Monika Götz vs. Iris Hill

06.07.00 (mab) Während Monika Götz lange als die beste Nachwuchsathletin und großes Talent gehandelt wurde, kam Iris Hill (geb. Pfeiler) erst relativ spät zum Stabhochsprung, heiratete vergangenes Jahr den Engländer Warren Hill, und bekam so die Startberechtigung für den Englischen Verband. Das könnte dazu führen, dass wir sie bei der Olympiade in Sydney wiedersehen, denn beim englischen Verband liegt die Olympiaquali „nur“ bei 4,20m.
Bei den Bayerischen Meisterschaften trafen beide Athletinnen aufeinander und übersprangen jeweils 4,10m. Wir versuchen zu erklären, wo technische Probleme liegen und wie es um die Zukunftsperspektiven der Sportlerinnen bestellt ist. 

Einstichphase (1. Bildreihe): Iris Hill sticht im direkten Vergleich zu Monika Götz besser ein, da sie kaum eine Verdrehung des Oberkörpers zeigt. Monika Götz muss hingegen die höhere Anlaufgeschwindigkeit und die härteren Stäbe, die sie springt, zu Gute gehalten werden. Diese Faktoren erschweren ihr einen guten Einstich, so dass es zu einem leichten unterlaufen kommt. Die Schwäche der Neu-Engländerin hingegen ist definitiv ihre sehr geringe Anlaufgeschwindigkeit.

Absprungphase (2. Bildreihe): Hier setzt sich das Fehlerbild des „Unterlaufens“ bei Moni fort, d.h. der Stab ist beim Verlassen des Bodens schon deutlich vorgebogen. Iris zeigt hingegen beinahe einen „freien“ Absprung, was weder ein unter- noch ein hinterlaufen bedeuted.

Phase der „Sprungbeinpeitsche“ (2. Bildreihe, Bild 2-4): Leider haben beide Springerinnen in dieser Phase gravierende Schwächen: das Sprungbein wird nicht gestreckt nach vorne gebracht, was zu einem schlechteren Hebel bei der Stabbiegung und somit zu einer geringeren Energiespeicherung in den Stab führt. Würde dieses Element so wie z.B. von Feofanova beherrscht, könnten beide Springerinnen ca. 20-30 cm höher springen. Außerdem wirkt sich dieser Fehler nachteilig auf die weiteren Phasen aus. Eine weitere Schwäche ist die von beiden Springerinnen nicht wiederherzustellende Streckung des linken Arms während dieser Phase. Auch dies wirkt sich nachteilig auf die Hebelverhältnisse aus.

Phase des Aufrollens (2./3. Bildreihe): Beim Aufrollen ergeben sich weniger Fehler, doch weder Iris noch Moni rollen weit genug, d.h. beide Füße müssten rechts vom Stab zu sehen sein. Als Hauptursachen werden hier eine schlechte „Sprungbeinpeitsche“ oder Defizite in der vorderen Rumpfmuskulatur angesehen. Iris erreicht leider zudem zu keinem Zeitpunkt eine ausreichende „L-Position“, d.h. ihr Becken ist immer tiefer als die Schultern.

Phase der Verlängerung (3. Bildreihe): Moni zeigt eine relativ gute „Sturzhangphase“. Sie ist in der Lage, nach dem Aufrollen nicht sofort den Zug-/Drehumstütz einzuleiten. Iris hingegen strebt sehr früh und flach zur Latte, weshalb sie auch mit einer extrem weiten Ständereinstellung springen muss.

Phase des „Zug-/ Drehumstützes“ (3. Bildreihe): In dieser Phase werden besonders turnerische Fähigkeiten beansprucht. Auch hier hat Monika Götz leicht die Nase vorn: es gelingt ihr, den linken Arm vor dem Abstoß vom Stab beinahe zur Streckung zu bringen, während Iris dazu (noch) nicht in der Lage ist. Das führt bei der Athletin der LG Domspitzmilch Regensburg zu einer niedrigeren Flugkurve und somit zu einer geringeren Leistung.

Phase der Lattenüberquerung: Die LAC Quelle-Athletin Monika Götz hat hier, dank der guten vorangegangen Phase, Vorteile. Iris Hill hingegen zeigt eine sehr flache Flugkurve.

Fazit: Die Stärke von Iris Hill liegt ohne Zweifel in der Phase des Einstichs und des Absprungs, wo sie Monika Götz eindeutig überlegen ist. Diese hingegen hat eine leicht bessere turnerische Ausbildung, die noch in der Phase der Sprungbeinpeitsche besser ausgenützt werden sollte. Hier zeigt sich auch der größte Unterschied zur Weltspitze. Die nicht vorhandene Streckung des Sprungbeins würde sich dabei noch relativ schnell korrigieren lassen. Weitaus schwieriger dagegen ist die Streckung des linken Arms in dieser Phase zu Erlernen, da dies spezielle Kraftfähigkeiten voraussetzt, die relativ langfristig entwickelt werden müssen.
Wir wagen daher folgende Prognose für die Saison 2000: Iris Hill könnte mit etwas Glück und einer besseren „Sprungbeinpeitsche“ die englische Olympiaquali von 4,20m schaffen.
Schwierig wird es hingegen für Moni Götz: Die geforderten 4,40m vom deutschen Verband würden schon noch eine schnelle Verbesserung des Einstichs und der Sprungbeinpeitsche voraussetzen.

Lexikon:
unterlaufen: Im Moment des Absprungs sollte der Sprungbeinfuß direkt senkrecht unter der oberen Griffhand am Boden stehen. Ist er näher an der Sprungmatte spricht man von „unterlaufen“, im umgekehrten Fall von „hinterlaufen“.
C-Position: Kurz nach dem Absprung kommt es zu einem Vordrängen der Hüfte, wodurch der Körper der Springerin (mit etwas Fantasie) die Form eines C beschreibt.
„Sprungbeinpeitsche“: Ein meines Wissens von Prof. Dr. Kruber aus Zweibrücken geprägter Begriff, der das gestreckte „Nach-Vorne-Oben“-Schnellen des Sprungbeins nach der Phase der „C-Position“ beschreibt.
„Verlängerung“: Nach dem Aufrollen ist die Phase der Stabstreckung noch nicht zu Ende. Während sich der Stab also noch weiter seiner ursprünglichen Form nähert, versucht der Springer, den Sprung zu verlängern, d.h. die Stabstreckung für seine Sprunghöhe so effektiv wie möglich zu gestalten: dazu muss er seinen Körperschwerpunkt dem Stab möglichst nahe annähern. In der Regel erfolgt in der Phase der Verlängerung die Streckung zum Sturzhang.
 

von Matthias Böhm

 

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